Sport- und Gesundheitspsychologie • Yvonne Dathe

Kevin Philipp - Gleitschirm-Akrobatikpilotin
Gabi Fonck

INTERVIEW: Kevin Philipp - Es geht immer weiter

Trotz Unfällen nicht mit dem Fliegen aufhören. Wie das gelingen kann, habe ich im heutigen Interview Kevin gefragt. Kevin Philipp fliegt CrossCountry und Akrobatik. Er ist 2022 der Akro-Champion in der Schweiz geworden und hält den nationalen Rekord.

 

 

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Transkript des Interviews mit Kevin Philipp:

Hallo Kevin, schön dass du dir Zeit nimmst für ein Interview mit mir. 

Ja servus Yvonne. Freut mich natürlich.

Zu Beginn würde mich gleich mal interessieren, du bist ja Akrobatik-Pilot und auch Streckenflug-Pilot, seit wann fliegst du? 

Angefangen habe ich so 2009. Nee. Schlussendlich 2011 habe ich angefangen. 

2011?

Ja genau, mit einem Kumpel, der einen alten Schirm vom Vater gefunden hat. Und dann so ein bisschen groundhandling und ein bisschen am Übungshang runtergerannt. Ja, von da an.

Aber die ersten zwei, drei Jahre waren dann ganz sporadisch, eigentlich nur so ein paar Übungen.

Also von 2011 an. Also sprich, du hast dann erstmal keinen Kurs gemacht, sondern hast versucht dir das irgendwie selber beizubringen?

Ja, ich habe da noch nicht wirklich Flüge gemacht und 2010 habe ich das erste Mal Übungen am Hanggemach und auch so ganz kleine Flüge. Und dann, zwei Jahre später, ging ich nach Kolumbien. Eigentlich um ein bisschen zu reisen. Dabei habe ich eine Ausbildung gemacht und bin da mehr geflogen. So habe ich den Sport langsam kennengelernt, denn zuvor war es sehr wild und ohne know how und ohne wirkliches Equipment.

Okay, also du hast die Ausbildung in Kolumbien gemacht. Das ist ja auch sehr außergewöhnlich für einen Schweizer.

Ja, ich war länger dort und habe ziemlich schnell gemerkt, dass mir der Sport sehr gefällt und hatte dort die Möglichkeit relativ günstig, in der Schweiz ist alles ein bisschen teuerer, die Lizenz zu machen. In der Schweiz durfte ich dann nicht fliegen. Ich war nicht versichert und nichts, das war schon nicht ganz optimal.

Du hast dann in der Schweiz den Schein umschreiben lassen müssen?

Genau. Ja, das ging dann noch eine Weile, aber ja irgendwann habe ich den Schein umschreiben lassen.

Dann durfte ich auch legal in der Schweiz fliegen. Im Ausland war es kein Problem, aber in der Schweiz, weil ich in der Schweiz wohnhaft bin und war.

Du bist ein sehr sehr guter Akro-Pilot. Ich glaube das war auch das, in dem du als erstes richtig gut geworden bist und hast Streckenfliegen dann später angefangen. Oder hast du erst Streckenfliegen angefangen und dann Akrobatik?

Zuerst Streckenfliegen, auch in Kolumbien und dann kam ich relativ früh mal in eine brenzlige Situation und musste einen Retter werfen. Da habe ich realisiert, dass ich mich mit dem noch gar nicht auseinandergesetzt habe; mit solchen Situationen. Es wäre mega vermeidbar gewesen den Retter zu werfen, hätte ich gewusst, was ich machen hätte müssen. Durch das habe ich dann ziemlich schnell ein bisschen Akro-Fliegen angefangen. Also Spiralen und Spins zu machen. Meine damalige Freundin war sehr erfahren beim Akro-Fliegen und die hat mich ein bisschen aufgeklärt und gezeigt, wie das funktioniert.

Vor einigen Jahren hattest du ja einen richtig schweren Unfall. Das war dann glaube ich nicht beim Akrobatik-Fliegen sondern beim Soaren, wenn ich das richtig verstanden habe. Du bist gesoart und warst dann zu nah am Hang und bist in den Hang geknallt. Was ist damals genau passiert?

Ja, das war 2017, da hatte ich schon sehr viel Erfahrung und war eigentlich ein guter Pilot. Aber ich war zu der Zeit sehr viel in Spanien am Fliegen und da hast du sehr viele dynamisch thermische Aufwinde. Dadurch war ich halt auch irgendwie schon so daran gewöhnt, dass ich halt immer und überall Steigen finde, und dann sind wir von Spanien an die Gerlitzen gefahren. Dort war ein Flieger-event, ein Boogi. Ich bin am ersten Tag hochgefahren und bin rausgeflogen. Alles war gut, alles war top. Es waren viele Leute in der Luft und dann wollte ich einfach in die Thermik eindrehen, die relativ hangnah war. In dem Moment war ich mir der Gefahr nicht bewusst. Ich bin sehr schnell aus der Thermik gefallen. Nah am Hang eingedreht mit recht viel Sinken konnte  ich den Turn noch fertig fliegen. Aber der Hang war so flach, dass ich im flachen Winkel Hang abwärts hineingeflogen bin. Das Blöde war halt, dass da noch so ein kleiner Weg war und ich den im letzten Moment gesehen hab und zu tief und abrupt zum Stehen kam. Und ja, es war jetzt nichts mega Spezielles oder Spektakuläres wie das vorgefallen ist. Dass krasse war, dass ich in dem Jahr viele Risikos eingegangen bin, mit Bodenspiralen oder beim  Akro-Fliegen im allgemein und dann bei einer „Normalsituation“, in der eigentlich gar nichts gefährlich sein sollte, passierte dieser Unfall

Du warst dann danach gelähmt.

Eine Zeit lang, genau. Direkt nach dem Aufprall habe ich meine Beine nicht mehr gespürt. Ich konnte sie nicht mehr bewegen und habe dann auch zwei Wochen lang nichts bewegen können. Danach habe ich ganz langsam Fortschritte machen können. Zu dem Zeitpunkt war auch nicht klar, ob ich jemals wieder laufen kann oder wie ich laufen kann. Ich hatte ganz großes Glück, dass wieder alles Berg aufging. Ein bisschen Pech hatte ich auch, aber das war auch mein Glück, dass ich extreme Schmerzen bekommen habe. Durch diese wurde entschieden nach drei Monaten nochmal zu operieren und das Ganze zu rekonstruieren. Dadurch hat sich etwas, wie ein Knoten gelöst. Nach dreieinhalb bis vier Monaten konnte ich auf meinen Beinen stehen. Zunächst ganz wackelig. Und ja, nach sechs Monaten konnte ich auf den Rollstuhl verzichten. Ich war sechs Monate in stationärer Therapie, in in der Physiotherapie, und konnte da wirklich extreme Fortschritte machen und ja, hab einfach Glück gehabt.

Was mich jetzt interessiert, du hattest im Interview mit Lucian Haas erzählt, dass du einen

Physiotherapeuten hattest, der dir von Anfang an gesagt hat, du solltest dir vorstellen, wie du deine Beine bewegen kannst. Du solltest visualisieren, wie du sie ansteuert. Aus Studien ist bekannt, dass wenn man das macht, dass die Muskeln aktiviert werden und weniger abbauen und das auch wieder aufbauen können. Wie hast du das genau gemacht? Wie war bei dir dieses Visualisierungstraining?

Ja genau, mir hat die erste Physiotherapeutin, noch in Klagenfurt, Österreich gesagt, dass ich alles ansteuern soll, auch das, was sich nicht bewegt oder nicht geht. Das hat mir schon, glaube ich, sehr viel gebracht. Dadurch, dass ich viel Schmerzen gehabt habe, habe ich mir Ruhezeiten gegönnt und war jetzt nicht den ganzen Tag aktiv. Während ich so im Bett lag, habe ich einfach die Beine versucht anzusteuern. Da ist eigentlich nicht viel passiert, aber ich habe bei den Zehen angefangen und dann jeden Muskel versucht anzusteuern und bei vielen habe ich auch ein gewisses Feedback bekommen. Also es gab dann Kribbeln in den Muskeln oder dem Zeh. Aber nicht bei allen und das war am Anfang schon schwierig, doch mit der Zeit kam immer mehr und mehr zurück.

Wie ist es dir gelungen optimistisch zu bleiben? Das ist ja schon auch ziemlich frustrierend, wenn man merkt, „okay ich kann jetzt doch nicht alles ansteuern und ich weiß nicht, ob ich wieder laufen kann“.  Wie hast du es geschafft in dieser Zeit deinen Optimismus zu behalten und nach vorne zu schauen und zu hoffen, dass es wieder aufwärts geht? Wie ist dir das gelungen? 

Ja, also ehrlich gesagt, der war nicht immer da. Es ist so, dass es Zeiten gab, in denen ich eigentlich wenig Hoffnung hatte oder schon sehr mental angeschlagen war, aber ich wusste „ich habe nur die Chance und was soll ich jetzt aufgeben“. „Ich kann aufgeben, wenn ich einen Kampf verloren habe, aber ich bin mitten im Kampf“. Und von dem her wusste ich, dass das Einzige, was jetzt geht ist nicht einfach nur im Bett zu liegen und die Chance zu verpassen. Mir wurde auch nahegelegt, dass die Zeit, in der ich Fortschritte machen kann begrenzt ist. In den ersten sechs Monaten macht man extrem viele Fortschritte und das war mir auch sehr klar und durch das habe ich wirklich mit aller Kraft auf mein Ziel hingearbeitet. Eine große Motivation war natürlich meine Familie, meine Freunde, aber auch der Sport, der mich zwar in diese Situation gebracht hat, aber auch motiviert hat, wieder diese Freiheit zu erleben und wieder dieses Gefühl des Fliegens haben zu können.

Es war für dich von Anfang an klar, wenn du wieder laufen kannst, wirst du auf jeden Fall wieder fliegen?

Ja, das war ein extrem großes Ziel, auch eben durch die Leute und durch die Community, die ich erfahren durfte und die ich schätzen gelernt habe, war das schon sehr erstrebenswert in den Momenten und auch mega motivierend. Und all die Leute, die ich durch das Fliegen kannte und mich besuchen kamen, das war schon sehr viel Wert.


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Wie denkst du heute über diesen Unfall und die Zeit? Manche sagen ja, wenn sie so eine Krise durchlebt haben, „ja das war eigentlich ganz gut, weil ich daraus was Wichtiges für mich mitgenommen habe“. Wie ist es bei dir? Ist es auch so, oder sagst du dir, „da hätte ich gut drauf verzichten können, da habe ich gar nichts mitgenommen“.

Ja, sowohl als auch. Ein bisschen beides. Klar physisch würde ich es mir nicht noch mal wünschen. Ich leide auch heute noch darunter. Es geht mir sehr gut, den Umständen entsprechend, aber ich habe auch heute noch gewisse kleinere Leiden. Das linke Bein ist jetzt weniger stark als das rechte, und dann habe ich Schmerzen im Kreuz. Aber vom mentalen Aspekt hat es mir sehr viel gegeben. Eigentlich dadurch, dass mir sehr viel Freiheit und sehr viel im Leben entzogen wurde. In dem Moment habe ich das dann auch extrem zu schätzen gelernt und dadurch, dass mein Leidensweg in den sechs Monaten nicht so klar war, oder anders, für mich war zu gewissen Zeitpunkten klar, dass gewisse Dinge nie mehr gehen werden. Dass ich wahrscheinlich nie mehr bei uns auf den Berg hochlaufe oder dass ich nie mehr irgendwie gewisse Dinge tun kann, weil ich halt einfach auch gesehen habe, dass ich sehr lang sehr wenig Fortschritte gemacht habe. Rein von der Prognose her hätte ich wahrscheinlich nie mehr richtig laufen können oder weit. So betrachtet, hatte ich schon sehr viele Dinge aus meinem Leben gestrichen oder abgeschrieben. Und diese Dinge dann nach und nach wieder zurückzubekommen, obwohl ich gedacht habe, dass das nie mehr geht, das war extrem viel wert. Das ist schon sehr schön und ich habe z. B. diese Emotion auch in Kolumbien erlebt. Als ich das erste Mal nach Kolumbien ging, waren die Leute noch vom Krieg traumatisiert. Danach haben sie, wie so einen Frühling erlebt, einen emotionalen Frühling. Und das konnte ich auch erleben, das halt einfach alles nach oben geht. Das ist schon sehr cool zu erleben.

Dann wirst du wahrscheinlich auch viel mehr Dankbarkeit empfinden für die Dinge, die für jemanden, der sowas nicht erlebt hat, selbstverständlich sind. Wozu du dann sagst, das konnte ich lange Zeit nicht machen, also da bin ich total dankbar, dass ich das jetzt wieder tun kann.

Ja, absolut ja.

Du konntest ein halbes Jahr nach dem Unfall, den Rollstuhl wieder hinter dir lassen. Wie lange hat's dann noch gedauert, dass du wieder geflogen bist?

Am Anfang habe ich noch ein Verbot auferlegt bekommen von Ärzten und den Versicherungen, was auch intelligent war. Also ich hätte mich da wahrscheinlich schon vom Berg gestürzt. Als ich dann wieder durfte, das war neun Monate nach der zweiten OP, also etwa ein Jahr nach dem Unfall, imAugust 2018, habe ich wieder das Okay von den Ärzten bekommen. Ich musste dann schon feststellen, dass, mir doch noch physisch viele Bewegungen weh getan haben oder mir nicht so behagt haben. Ich habe dann sehr langsam wieder zurück in den Sport gefunden. Psychologisch war ich schon noch ein Stück weit entfernt, also es ging langsam ich konnte da nicht von Null auf 100, weil halt die Angst recht lange mitgeflogen ist und ich auch unsicher war, wenn ich eine härtere Landung hatte, wenn ich einen Retterabgang hätte oder so. Ich war schon sehr, sehr nervös.

Ja, das wäre jetzt meine nächste Frage gewesen. Wie hast du dich gefühlt, als du das erste mal wieder geflogen bist? 

Es war schon schwierig. Ich bin dann zurück nach Kolumbien, weil das so meine zweite Heimat und auch sehr schön zum Fliegen ist. Es fliegt sich dort echt entspannt, nicht wie bei uns in den Alpen. Ich flog dort einen Wettbewerb mit und dachte, „ja, ist alles safe und cool“. Doch dann musste ich feststellen, dass sehr viel über die Hochspannungsleitung geflogen wurde und es wenig Landeoptionen gab. Das war im Norden Cauca de Valle. Das war für mich nicht so optimal und ich musste nach ein oder zwei Tagen feststellen, dass ich nicht will und nicht kann. Ja, es war dann schon ein Rückschlag, aber Stück für Stück habe ich mir das Vertrauen zurückerarbeitet und stellte auch fest, dass ich auch wieder mal hinfallen kann. Das muss man alles neu lernen, vor allem das Vertrauen wieder neu aufbauen, dass, wenn ich jetzt hinfalle, ich nicht hilflosen am Boden liege, wie damals, als ich in der Reha war. Sondern, dass ich mittlerweile das Leben wieder voll genießen kann.

Hast du irgendwas unternommen, damit das Vertrauen wieder kommt oder hast du einfach Stück für Stück dir immer mehr zugetraut und wenn du gemerkt hast, „nee jetzt ist es zu viel dann gehe ich einfach landen oder breche den Flug ab“?

Ich musste mich schon ein bisschen pushen und ich habe mich sehr polysportiv beschäftigt. Ich war nicht nur Fliegen, sondern ging auch mal Skateboarden oder irgendwas, das jetzt vielleicht nicht ganz optimal ist, wenn ich irgendwie blöd hinfalle. Dennoch haben mir diese Sportarten sehr viel gegeben. Dann bin ich eben mal hingefallen und habe dann gemerkt, dass ich es kann. Ich habe gelernt, wo meine jetzigen Limits sind. Ich denke, ich habe wirklich das Vertrauen wieder aufgebaut, dadurch, dass ich halt ganz viele Dinge ausprobiert habe und mich einfach wieder ins kalte Wasser geworfen haben. Und vielfach habe ich auch mega gelitten. Am Ende habe ich aber daraus gelernt.

Du hast dann auch relativ schnell wieder mit dem Akrobatik-Fliegen angefangen.

Ja relativ.  So zweieinhalb Jahre hat es glaube ich schon gedauert bis wieder in der Lage war Akrobatik zu fliegen. Recht lange war ich mir nicht so sicher, ob ich die Gehkräfte aushalte. Auch heute noch, wenn ich z. B. meinen Kopf so nach unten neige, dann bekomme ich Schmerzen in den Beinen. Das ist noch ein bisschen komisch, aber das hat damit zu tun, dass mein Hauptnervenstrang irgendwie hinten im Rücken etwas eingeklemmt ist. Solche Dinge haben mich dann schon sehr limitiert, also zumindest mental limitiert. Ich habe dann aber gemerkt, dass es eigentlich sehr gut geht und dass es gar kein Problem ist. Das war schon mega schön.

Und du wurdest dann auch Schweizermeister im Akrobatik-Fliegen.

Genau. Ja, beim zweiten Anlauf. Beim ersten wurde ich noch Zweiter und dann, ein Jahr später, habe ich es geschafft. Das war ein großes Ziel für mich. Ich bin jemand, ich setzte meine Ziele meistens hoch und konnte da erstaunlicherweise den Schweizer Titel holen. Ich hätte das nicht gedacht, als ich aus der Reha kam oder als ich wieder angefangen habe zu fliegen. Aber ja, es war ein mega schönes Gefühl und Erlebnis. Und auch den Leuten in der Community, oder mit denen ich in der Reha war, zu zeigen, dass das doch geht oder dass man die Hoffnung nicht aufgeben soll.

Denn ich war an gewissen Punkten, da habe ich gedacht, „am besten springe ich irgendwo vom Haus und mache jetzt hier alles fertig“, weil es wirklich mental so war, dass ich gedacht habe, dass es nicht mehr besser wird. Aber ich war es meiner Familie und meiner Mutter schuldig, den Weg zu gehen und alles möglich zu machen was möglich ist.

Im Endeffekt hat dein Umfeld dir die Kraft gegeben zu sagen „okay, nee ich gebe nicht auf, sondern ich mache weiter“.

Ja genau. Es war schon heftig, wie ich so von zwei Wochen nach dem Unfall bis etwa drei Monaten einfach immer mehr Schmerzen hatte und irgendwann war das wirklich extrem. Also extrem unerträglich und da hinterfragt man schon viele Sachen. Ich sage jetzt mal, dass ich ein sehr rationaler oder logischer Mensch bin und relativ nüchtern analysiert habe und mir dann gesagt habe,“hey nee, geht jetzt nicht, da musst du jetzt durch“. Obwohl ich eigentlich rein psychisch die Hoffnung verloren hatte, wusste ich, dass halt noch nicht alles ganz verloren ist.

Etwas später ist ja dann in Organyá noch mal ein Unfall passiert.  Da gibt's auch ein Video davon. Ich habe mir das vorhin noch mal angeschaut. Das war ja schon auch wieder lebensbedrohlich. Was ist denn da genau passiert, wie kam es dazu und wie hast du die Situation dann gut für dich?

Ja, das war ein bisschen spezieller Tag, denn meine Mutter war gerade in der Gegend. Sie war in Frankreich nahe der Grenze auf Besuch bei einer Freundin und kam dann nach Organyá, zum Ort, wo wir geflogen sind. Das war das allererste Mal, das sie mich beim Fliegen in live gesehen hat. Ich habe dann einen Twisty Twist geflogen. Dabei kommt man so ein bisschen dynamisch hoch und macht eine 360er Drehung und lässt den Schirm wieder schießen und fliegt weiter, und das ganze noch eingenistet. So dass man von einer Seite twistet auf die andere Seite eintwistet. Dabei ist es dann passiert, dass meine eine Hand am Gummizug von der Bremse hängen geblieben ist, als ich den Schirm bremsen musste. Und ich wollte da nur ganz schnell so die Hand rausnehmen, das war nur so ganz leicht eingehängt beim Handgelenk und in dem Moment ist der Schirm so schnell, so abrupt nach vorne geschnellt, dass es mich gerade aus dem Twist gedreht hat. Das hatte ich so auch erwartet. Ich habe den Schirm noch ein bisschen zu bremsen versucht, aber war mir ziemlich sicher, dass der jetzt einfach ein nach vorne schießt, vielleicht Frontklapper, aber nicht, dass er so weit runter geht. Dabei ist der Schirm so weit nach vorne geschossen, dass er vor mir geblieben ist. Vermutlich wegen der Thermik oder den Turbulenz, die  gerade waren. Es war Hochsommer in Spanien, da geht es schon zum Teil ein bisschen ab in der Luft. Jedenfalls ist der Schirm direkt gegen mich geflogen, oder ich gegen Schirm.

Das war etwas unerwartet. Klar passieren solche Sachen in unserem Sport, dass ein Schirm irgendwie vorschießt oder Frontklapper. Und von der Erfahrung her dachte ich nicht, dass das passiert. Aber ja, dann ist der Schirm zusammengefallen und mir ist bewusst geworden, dass ich den Retter schmeißen muss und dass ich schnell reagieren muss. Ich war auch recht zuversichtlich, weil ich gut Höhe hatte. Das macht Akrobatikfleigen relativ safe und ich Zeit habe das Problem zu lösen. Ich musste dann recht schnell feststellen, dass der erste und auch der zweite Retter in den Leinen vom Schirm hängen geblieben sind. Dann kann der Retter nicht genug weit weg von mir kommen und so konnte das Paket sich nicht öffnen und als ich den zweiten Retter dann neben mir im Augenwinkel gesehen habe, habe ich ziemlich schnell realisiert, das eigentlich die einzige Lösung ist, dass ich den aus dem Retterpacksack rausnehmen muss. Ich habe dann zuerst den Retter gehalten und das Handel und daran einmal gezogen. Natürlich öffnet sich das so nicht, also habe ich den Packsack und dann das Handel zu mir gezogen und dann ist mir relativ schnell bewusst geworden, was der Fehler ist und hab die Leinen aus dem Packsack gezogen. Da hat er sich recht schnell und gut geöffnet, aber ja, es war in allerletzte Sekunde und es war viel Glück mit im Spiel. Also Glück im Unglück. 

Nach all diesen Erlebnissen, hätte so manch einer gesagt, „okay, also das Fliegen scheint ja doch gefährlich zu sein, es kann doch einiges passieren, ich lass das einfach mal“. Was ist es, was dich dazu ermutigt doch zu sagen „nee, ich mach weiter, ich flieg weiter, das ist einfach so genial, dass ich weiter dabei bleib“? Was fasziniert dich da so dran?

Es ist so, wenn ich was anderes machen würde, dann wäre es nicht ungefährlicher für mich als beim Gleitschirmfliegen. Hier ist cool, dass eigentlich ich der Einzige bin, der wirklich in Gefahr ist. Wenn ich jetzt nicht mehr Gleitschirm fliegen würde, würde ich mir wahrscheinlich ein Motorrad kaufen oder irgendwie mit dem Downhillnike den ganzen Tag einen Berg runterfahren. Das ist alles, je nachdem wie du es machst, wenn du es machst wie ich Gleitschirm flieg, auch sehr gefährlich. Ich versuche bei meinen Fliegen oder meinem Sport, den ich mache, immer möglichst safe zu machen. Die Dinge, die ich fliege, trainiere ich viel und auch über Wasser und auch mit zwei Rettern plus einer Base, also mit möglichst viel Sicherheit. Und noch mehr natürlich, als vor dem Unfall und ich versuch stetig noch sicherer zu fliegen. Jetzt sehe ich im Nachhinein, dass ich heute weniger Risiko bereit bin als zuvor.

Klar ist das Fliegen gefährlich, aber es gibt mir so viel, ich habe wirklich Spaß daran. Auch die die Momente, die ich erlebe, nicht nur das Fliegen, sonder auch das ganze Drumherum, wo ich hingehe. Das ist sehr, sehr viel Wert für mich und darauf will ich, auch wenn es gefährlich ist, nicht verzichten.

Den Unfall in Organyá, den hattest du ja gefilmt, da gibt's ein Video davon. Der hat dann auch dazu geführt, dass du sehr viele Follower bekommen hast, sowohl auf YouTube als auch auch Instagram. Hat sich dadurch für dich etwas verändert?

 Nee, nicht extrem. Ich müsste da vielleicht ein bisschen forcierter ran gehen. Aber klar, es ist halt eine Plattform, die ich jetzt habe und ich kann mehr Menschen erreichen, was auch cool ist. Auch die Geschichte mit meinem Rücken, dass vielleicht mehr Leute diese Story sehen und vielleicht auch davon profitieren und sich inspirieren lassen können. Für mich als Sportler ist es ein gewisses Marketingtool. Ich bin jetzt für Sponsoren attraktiver und das ist schon was Gutes als Athlet. 

Das war schon extrem, wie viele Leute mir dann in dem Moment auf einmal gefolgt sind oder meine Videos anschauen. Es ist auch cool, so eine gewisse Wertschätzung zu erhalten. Mittlerweile hat sich das ja auch irgendwie bestätigt, dass ich ganz viele Leute dazu gewinnen konnte. Sie finden die Art wie ich Fliege und die publizierten Videos schön und gut. 95% von meinen publizierten Dingen sind mehr schöne Sachen, die jetzt weniger gefährlich oder spektakulär sind.

Einerseits ist es schade, dass man sowas schlimmes erleben muss, um die Aufmerksamkeit zu bekommen, aber auf der anderen Seite ist es dann schön, dass sie auch nicht nur das Schlimme sehen, sondern auch das Schöne sehen.

Ja, ich war auch erstaunt, wie viel positives Feedback ich nur von dem Video bekommen habe; wie viele Leute eigentlich was Gutes draus ziehen konnten. Das war schon schön zu sehen. Also tausende.

Du hast gesagt, du versuchst heute, das Fliegen etwas sicherer zu gestalten. Was sind denn so deine Sicherheitsvorkehrungen, die du beim Fliegen unternimmst, damit das Fliegen für dich sicherer ist als vielleicht noch vor 10 Jahren?

Heute trainiere ich alles, was ich neu mache, über Wasser. Früher habe ich auch über Grund, dann einfach mit genug Höhe, neue Dinge probiert. Ich check regelmäßiger meine Retter und ich schau besser auf mein Equipment. So achte ich darauf, dass mein Retter nicht zu klein ist und dass halt eigentlich alles stimmt. Darauf habe ich schon größeres Augenmerk drauf. In Orten, wie Spanien, El Hierro, wo die Bedingen zum Teil grenzwertig sind, bin ich vorsichtiger als früher. Ich versuche dir nicht immer das Extremste oder ich sage jetzt mal das Coolste zu machen, um dann irgendwie der Größte zu sein oder so. Mein Ego ist mittlerweile nicht mehr so groß wie noch als ich etwas jünger war.

Du bist vielleicht auch klüger geworden im Laufe der Zeit.

Ja genau. Es ist immer eine Frage, was man möchte. Was ist dir mehr wert. Mittlerweile ist es mir wichtiger am nächsten Tag wieder gesund aufzustehen als jetzt irgendwie abgefeiert zu werden.

Wie bereitest du dich denn auf ein neues Flugmanöver vor. Also du gehst über Wasser, aber bereitest du dich auch irgendwie mental drauf vor? Schaust du dir vorher Videos an oder wie ist da deine Vorbereitung?

Nein, eigentlich nicht. Also ich habe gewisse Ideen, was ich machen will. Ich analysiere, was ist sicher, was könnten die Probleme sein. Ich gehe da schon theoretischer ran als zuvor, aber jetzt mental vorm Flug vorbereiten muss ich mich eigentlich nicht. Ich flieg so viel Akro. Es gibt dann schon Momente, in denen ich etwas nervös bin, wenn ich etwas mache, indem ich noch nicht so sicher bin. Aber ich habe mich schon so viel damit auseinandergesetzt, dass ich das normalerweise, ich sage nicht entspannt, aber machen kann. Am schlimmsten waren für mich die ersten Spirale. Da war schon sehr viel Stress involviert und sehr viel psychischer und mentaler Druck. Mittlerweile ist es recht entspannt. Ich weiß inzwischen auch, was für es für Lösungen gibt. Extreme Spannung oder Stress entsteht, dann während des Fluges, wenn was richtig schief geht. Aber vor dem Flug bin ich immer recht entspannt.

Ja, dann ist es ja auch berechtigt, dass der Stress kommt. Denn Stress ist ein Notfallprogramm, das eben in der Gefahrensituation ausgelöst wird. Der Adrenalinspiegel steigt, damit ich eben auch schnell handlungsfähig bin, wenn die gefährliche Situation da ist. Dann wäre es ja schlecht, wenn ich auf einmal super relaxed bin, obwohl ich eigentlich schnell reagieren müsste.

Ja, für mich ist das stressigste das Starten beim Akro-Fliegen, weil da ist viel was schiefgehen kann. Da sind wir recht schnell unterwegs und dann ist vielleicht noch Rückenwind. Oder das Landen beim Cross-Fliegen, weil du beim Cross-Fliegen zum Teil ins hinterletzte Tal fliegst und du gar nicht weißt, ob du noch drüber kommst. Das ist schon sehr stressig für mich. Aber jetzt beim Akro-Fliegen habe ich so ein sicheres Setting, zumindest vom Gefühl her, dass ich in der Luft nicht mehr so gestresst bin.

Wie gehst du dann damit um? Ich glaube, dass kennen viele Piloten, dass sie beim Starten gestresst sind, wenn die Bedingungen vielleicht nicht ganz optimal sind. Wie gehst du da mit deiner Nervosität um?

Ich versuche immer zu schauen, wie die anderen Leute starten, was da abgeht. Ich schaue die Bedingungen an und versuche das zu evaluieren. Und wenn ich zu viel Stress empfinde, oder wenn ich sehe, dass es ein bisschen grenzwertig ist, dann gehe ich heute auch lieber runter oder nehme mir die Zeit, die ich brauche. Ich muss jetzt nicht immer jeden Flug erzwingen. Also früher war ich schon schmerzfreier bei den Starts.

Ja und beim Landen ist es ja genau das Gleiche, also gerade für Anfänger. Du bist kein Anfänger mehr, du fliegst ja sehr viel Strecke und auch weite Strecken. Aber auch Anfänger, gerade wenn sie ihre ersten Streckenflüge machen, haben das Problem, „oh wo lande ich, wo werde ich landen, erreiche ich einen sicheren Landeplatz, komme ich da noch hin, oder nicht?“.  Wie gehst du denn mit solchen Ängsten um?

Da bin ich mir nicht sicher. Ich kann fast überall rein landen. Vor dem Unfall war das extrem, da war ich ja mega entspannt. Und heute ist es so, dass ich viel fliege und die Situation einzuschätzen gelernt habe. Mittlerweile kann ich meinen Skills vertrauen. Dadurch ist es auch mal okay, wenn ich da irgendwo im Baum lande, solange es nicht eine 30 m hohe Tanne ist.

Ich bin da schon genug abenteuerlustig. Ich habe bis jetzt eigentlich nie eine wirklich schlechte Landung gehabt, muss ich sagen. Es war schon ein paar mal knapp und eben dann mit dem Rücken bin ich schon ein bisschen gestresst.

Ja, ich denke mir immer, das Unangenehmste, gerade beim Streckenfliegen ist, wenn man irgendwo außen landet. Du hast gerade vorhin gesagt „so im hinterletzten Tal“.  Ja, das ist eigentlich das unangenehme, dass man irgendwo landet, wo keine Straße ist, und dann heißt`s mal so 5 oder 10 km mit der schweren Ausrüstung irgendwo zur nächsten Straße zu laufen. Das ist eigentlich das größte Problem finde ich immer, oder?

Ja, mir ist es eigentlich egal, solange ich heil gelandet bin. Normalerweise versuche ich weit zu fliegen. An mega gute Tage wird man zum Teil bestraft, weil man bisschen viel Risiko eingegangen ist. Dann nehme ich das Abenteuer auf mich, ich finde das zum Teil auch mal cool, irgendwo ein paar Stunden rauszulaufen. Das bringt mich irgendwie zurück zum Beginn. Führe bin ich oft irgendwo geflogen und wieder zurück gewandert, vor allem im Ausland. Dann ist man da ein paar Stunden unterwegs. Und heute ist das weniger so, weil ich halt ein bisschen besser fliege und meistens wieder zurückkomme. Wenn es dann mal passiert, kann ich das eigentlich genießen. Klar ist das nicht immer möglich, wenn man nächsten Tag arbeiten muss oder Stress hat, aber das Leben geht weiter. Das habe ich gelernt, dass ich halt auch solche Situation genieße, weil das für mich nicht mehr möglich war zu einem Zeitpunkt.  Ich dachte nicht, dass ich solche Außenlandung machen kann und wieder nach Hause laufen kann. Also es gab Zeiten, da dachte ich, „ja dann fliege ich halt vielleicht später mal im Rollstuhl oder so“. Heute geht's mir tiptop und dann laufe ich da halt, bin verschwitzt und es ist alles blöd, aber ich genieße das, weil ich weiß, dass es anders sein könnte.

Es ist schön, wie du das sagst. Vor allem bei Außenlandungen, auch wenn ich dann weit laufen muss oder vielleicht trampen muss oder wie auch immer, sind das ja dann oft auch ganz tolle Begegnungen. Du hast gesagt, du bist auch viel in Kolumbien. Das fand ich dann immer total klasse in Kolumbien, weil da die Leute ja total freundlich sind und du sitzt dann halt ganz schnell auch mal bei einer Familie am Tisch und die geben dir was zum Essen und zu trinken und dann bist du schon im Gespräch und erfährst über Land und Leute was Neues oder Schönes.

 Ja, das ist mega. Das meine ich halt eben genau. Auch diese Neugier der Leute, denen du begegnest und das ist mega cool, wie offen die dann sind und man kommt mega schnell ins Gespräch und das ist schon was, dass unser Sport mit sich bringt. Diese barrierefreie Begegnung mit den lokalen Leuten.

Was ist für dich faszinierender? Du machst ja beides, du gehst auf Strecke, du fliegst Akrobatik. Machst du eines der beiden lieber oder sagst du, beides gehört irgendwie dazu und beides ist gut und wichtig und ergänzt sich gegenseitig? 

Ich denke, wenn man wirklich ein guter Pilot sein will, ist es schon gut, wenn man ein bisschen Akro fliegt und sich vielleicht da auskennt. Beim Streckenfliegen ist es schon empfehlenswert auch etwas Akrofliegen zu können. Ich mag beides mega, hat beides seine schönen Seiten wie seine schlechten Seiten. Beim Akrofliegen ist für mich z. B. das Wettbewerbfliegen mega uninteressant, weil man für nichts und noch mal nichts zum Arsch der Welt fährt und dann irgendwie zweimal dann Berg runterfliegt und drei Tage Stress hat für nicht s. Beim Streckenfliegen ist das ein bisschen anders. Du landest nach dem Task und kannst etwas entspannen, trinkst ein Bier, kannst dich mit Freunden unterhalten. Das ist ein ganz anderer Vibe. Dafür fliege ich beim Akro-Fliegen mega gern, da kann ich einfach zwei Monate am selben Ort sein und mich weiterentwickeln und fliegen und machen und tun. Da wird es bei Cross-Country mit der Zeit langweilig, also für mich zumindest. Ich fliege auch schon viel Cross-Country, also die Abwechslung macht sehr viel für mich und das ist auch sehr spannend und schön.

Du fliegst viel Cross-Country, sagst du. Also ich habe mal geguckt im XC-Contest. Ich habe da fast nur Flüge in Kolumbien gefunden. Fliegst du denn in Europa auch XC, oder nur in Kolumbien?

Ja, wenig. Wenn ich jetzt in Europa war, vor allem die letzten Jahre wieder, bin ich schon sehr viel Akro geflogen. Ich fliege ab und zu bei uns in der Umgebung, aber jetzt nicht die Riesenflüge. Ich habe schon zwei, drei gute Flüge gemacht. Aber dann kommt man auch schnell in irgendwelche Lufträume.

Ja, in der Schweiz gibt es auch viele Vogelschutzzonen, die natürlich wichtig sind, aber die das XC-Fliegen echt kompliziert machen.

Ja voll. Und bei mir in der Nähe sind wir dann noch in der Nähe vom Flughafen Zürich und da ist die Höhe mega begrenzt. Das geht dann nicht so gut, aber es ist auch so, wenn ich in der Schweiz bin, dann habe ich halt immer relativ viel zu tun. Dann habe ich meistens nicht so viel Zeit für das XC-Fliegen. Das Wetter ist dann auch oft schlecht. Es gibt schon Möglichkeiten, aber ich fahre lieber wieder irgendwie nach Spanien oder so und bin da ein bisschen am Akrobatik trainieren, was einiges einfacher und besser für mich ist.  Wenn ich jetzt einen Monat in der Schweiz bin, dann habe ich irgendwie fünf Tage, an denen ich wirklich gut fliegen kann. Und dann gehe ich lieber einfach direkt für Akro.

Ja.

Ich bin halt auch mega schlecht im Erkennen von guten Flugbedingungen. Erfahrungsgemäß, bin ich dann immer am falschen Ort. Mittlerweile ist es vielleicht schon besser.

Du hast gesagt, in der Schweiz hast du dann mega viel zu tun. Arbeitest du in der Schweiz? Du führst ja ein Leben, in dem du Monate lang in der Türkei und viel fliegerisch unterwegs bist. Du warst im Winter lange Zeit in Kolumbien. Bleibt da noch Zeit zum Arbeiten oder wie finanzierst du dich?

Ich habe das Glück, dass ich noch ein passives Einkommen habe, und mir das dadurch leisten kann. Wäre ich jetzt die ganze Zeit in der Schweiz, wäre das Leben ein bisschen zu teuer für mich und deswegen bin ich auch viel unterwegs. In der Türkei bin ich bei einer Kollegin untergekommen und ich habe da immer Möglichkeiten, recht günstig zu trainieren, wo ich gerade bin. Und ja von dem her bin ich auch so viel unterwegs. Eigentlich bin ich gelernte Polymechaniker, also das ich Werkzeug mache und helfe da zum Teil noch ein bisschen aus, bin da noch temporär ein bisschen am Arbeiten. Aber immer weniger.

Du hattest vorhin noch gesagt, dass es auch für Streckenflieger wichtig wäre, etwas Akro zu fliegen. Was wären denn so die Akro-Manöver, die jeder Streckenflieger und jede Streckenfliegerin können müssen? Also was jeder können muss?

Ja, also ich denke, es wäre schon wichtig, dass man seinen Schirm stallen kann, vielleicht Backfly halten und und Spins. Das wäre schon recht viel wert, weil man auf dem Weg, um das zu erlernen halt mit sehr viel konfrontiert wird, was man beim Streckenfliegen abbekommen kann. Nicht, dass man da irgendwie einen perfekten Heli fliegen muss oder irgendwelche Manöver, aber es wäre schon was Wert, dass man vielleicht einen Sat oder eine Steilspirale machen kann und halt einfach weiß, wo was passieren kann und wie man sich verhalten kann.

Du hattest vorhin auch gesagt also, als du das erste Mal gestallt hast, da warst du supernervös und ich glaub so geht's auch vielen Piloten, die das erste Mal einen Schirm stallen. Was würdest du den Piloten empfehlen, die das lernen möchten?

Ja, das war lange her. Dass man halt safe übers Wasser geht, ein Boot vorhanden ist. Man kann mal hier in die Türkei kommen oder vielleicht auch zum Gardasee und da wirklich vielleicht mit ein paar Kumpels, wo man ein bisschen aufeinander schaut, und da seine ersten Stalls macht. Also ich empfehle, dass wirklich über Wasser zu machen, denn man weiß nie, was passiert und gut ist auch, dass man zwei Retter dabei hat. Also ob man jetzt ein Akrogurtzeug hat, wo man zwei Retter reintun kann, oder man noch einen Front Retter dazu nimmt, nur halt für den Fall der Fälle. Sonst gibt es auch ganz viele Tutorials auf YouTube, wo man ein bisschen sehen kann, wie man bei der Technik vorgeht. Von dem her ist es eigentlich nicht so mega gefährlich oder schlimm. Es fühlt sich am Anfang halt mega unnatürlich an oder unkontrolliert, aber das ist halt am Anfang so. Das vergeht dann mit der Zeit.

Zum Abschluss vielleicht noch. Fällt dir so ein ganz besonders schönes Flugerlebnis ein, wo du sagen würdest, das war mein schönstes Flugerlebnis?

Ja, mein schönstes Flugerlebnis war die Reise, die ich mit den zwei, drei Kumpels in Quishadar gemacht habe. Das war 2016. Da sind wir lange Strecken geflogen und damals noch vom Berg aus. Mittlerweile machen die das immer mit der Winde. Das war schon eine sehr interessante und schöne Geschichte und dann auch den Schweizer Rekord zu brechen. Es war sehr interessant, weil man halt recht gelitten hat. Man musste morgens irgendwann um 5 Uhr aufstehen, war den ganzen Tag unterwegs, zum Teil flogen wir 12 Stunden. Diese Zeit hat uns als Kumpels extrem zusammengeschweißt und diese Erinnerungen sind unvergesslich.

Wie viele Flüge hast du gebraucht, um dem Schweizer Rekord zu brechen?

Ja, das waren schon ein paar. Es waren schon irgendwie 14 oder 15 Flüge, würde ich jetzt schätzen. Da war ich, glaube ich, drei Wochen oder vielleicht noch ein bisschen mehr, am Fliegen und dann so ganz zum Schluss habe ich es noch geschafft. Also es ist meistens auch ein Ding des Willens habe ich beim Fliegen festgestellt. Vieles hängt von der mentalen Verfassung ab. Dran bleiben - nicht aufgeben. Das ist bei mir zum Teil das Problem, dass ich halt irgendwie ein bisschen zu entspannt bin oder ein bisschen zu wenig Willen habe.

Wie schaffst du das dann, diesen Willen zu entwickeln, oder zu sagen „okay, nee ich gebe jetzt nicht auf, ich mache weiter, auch wenn es jetzt anstrengend ist“?

Das ist schwierig zu sagen, es kommt ganz auf die Situation an. Aber viel ist so eine gewisse Wut dabei, „zeigen wir es denen“. Oder nicht eine Wut, aber es gab viel, dass das irgendwie so provoziert wird oder dass jemand z. B. kommt „da Kevin, hast du gesehen, jemand hat deinen Rekord gebrochen“ und so ein bisschen stichelt oder so. Aus der Emotion mache ich relativ viel. Also es braucht so ein bisschen Öl im Feuer, dass du wirklich ganz an die Grenze gehen kannst.

Ist dann schon so dieser Wettbewerbsgedanke mit den anderen.

Ja genau, aber das ist auch noch cooler. Das habe ich auch schon anders gemacht, dass ich halt irgendwas sage, „hey, das geht, das mache ich jetzt morgen“. Und ich weiß halt, wenn ich das laut ausspreche vor meinen Kumpels, muss ich das dann auch machen. Ich könnte es auch einfach stillschweigend für mich denken, aber dann mache ich es auch nicht. Und so kann man sich dann auch irgendwie motivieren.

Laut aussprechen, was die Pläne sind, und dann kann ich mir die Blamage nicht geben, dass ich es nicht geschafft habe.

 Ja genau, probieren zumindest, oder?

Es gibt ja immer gerade beim Fliegen, ich glaube da dürfen wir auch ganz realistisch sein, einfach Bedingungen, die unsere Pläne durchkreuzen. Sei es einfach nur das Wetter, dass das nicht passt. Wenn ich vor Ort bin und hab dann irgendwie ständig den falschen Wind oder es regnet dann doch mehr als gedacht, ja, dann geht's halt nicht.

Ja, man kann zum Teil auch das Glück ein Stück weit erzwingen beim Gleitschirmfliegen, wenn man wirklich voll fokussiert ist und es Tag für Tag probiert. Also wenn man die Möglichkeit hat, dann ist das durchaus möglich. Man muss halt einfach jeden Tag wieder hochgehen, auch wenn man jetzt denkt, vielleicht ist heute nicht der beste Tag, sieht jetzt nicht so gut aus. Und das macht es dann schlussendlich auch aus, dass man halt hartnäckig bleibt.

Sich nicht auf Glück zu verlassen, sondern es trotzdem probieren, auch wenn die Zeichen vielleicht nicht so gut stehen.

Genau also ich habe beim Fliegen schon viele Male gedacht, heute ist nichts zum Fliegen, und dann eine halbe Stunde später, super. Und ja, ich wäre schon fast am Boden gewesen, weil es mich so frustriert hat. Ja, es kann sich sehr schnell ändern.

Vielen Dank Kevin für dieses Gespräch. Ich finde, da waren jetzt viele interessante Impulse von dir dabei und ich wünsche dir, dass das Wetter wieder gut wird und du wieder viel zum Fliegen und zum Üben kommst.

Danke dir danke dir, hat mir Spaß gemacht.

 


Aus Psychologischer Sicht:

 

Visualisierungstraining in der Rehaphase

Kevin hat berichtet, dass er nach seinem Unfall seine Füße, Zehen und Beine visuell angesteuert hat. Visualisierung kann bei der körperlichen Heilung, insbesondere im Zusammenhang mit Muskelabbau und der Ansteuerung von Nerven / Gelenken, die noch nicht bewegt werden können, eine wichtige Rolle spielen:

Muskelabbau verhindern und Muskeln aktivieren

Studien haben gezeigt, dass mentales Training durch Visualisierung helfen kann, Muskelabbau zu verhindern. Athleten und Patienten stellen sich vor, wie sie Übungen ausführen oder bestimmte Muskeln anspannen. Diese mentale Aktivität kann tatsächlich die neuronale Verbindung zu den Muskeln stärken und den Abbau verlangsamen. Indem man sich vorstellt, wie bestimmte Muskeln aktiviert und genutzt werden, kann man die motorischen Nervenbahnen stimulieren. Dies hilft, die Muskeln auf einem gewissen Niveau zu halten, selbst wenn sie nicht physisch beansprucht werden.

Förderung der Heilung

Visualisierung kann den Heilungsprozess beschleunigen, indem sie die Durchblutung und den Stoffwechsel im betroffenen Bereich anregt. Patienten stellen sich vor, wie heilende Energie oder Blut in das verletzte Gelenk fließt und die Regeneration unterstützt.

Praktische Tipps zur Visualisierung

Tägliche Übungseinheiten von 10-15 Minuten können bereits signifikante Effekte haben.

Konzentration und Entspannung: Es ist wichtig, sich in einem ruhigen Umfeld zu befinden und sich vollständig auf die Visualisierung zu konzentrieren.

Detaillierte Vorstellungen: Je detaillierter und realistischer die mentalen Bilder sind, desto effektiver ist die Visualisierung. Patienten sollten sich nicht nur die Bewegung vorstellen, sondern auch das Gefühl und die Muskelanspannung dabei.

Wenn du mehr spezifische Übungen oder detaillierte Anleitungen benötigst, lass es mich wissen!

 

Den Optimismus behalten

Den Optimismus zu behalten ist vermutlich das Schwierigste in der Rehaphase, vor allem dann, wenn am Anfang scheinbar nichts vorwärts geht. Hier ist es wichtig ein Ziel vor Augen zu haben. Für Kevin war klar, dass er wieder fliegen möchte, ob mit oder ohne Rollstuhl. Er hat sich immer wieder bewusst gemacht, dass er das Gefühl des Fliegens wieder erleben möchte, dass gab ihm Kraft. 

Die Besuche von der Familie und Freunden haben ihn ebenfalls motiviert und geholfen seinen Optimismus zu behalten. Kevin hat berichtet, dass er während der Reha schon mal an Aufgeben gedacht hat, doch seiner Familien, seinen Freunden und seiner Mutter konnte er das nicht an tun. Es hat ihn Kraft gegeben, dass er immer wieder Besuch bekam.

Seine Mitmenschen haben ihm emotionale und motivatonale Unterstützung gegeben und dazu beigetragen, dass er weiter macht, obwohl der Weg zur Genesung schwierig ist. 

Diese soziale Unterstützung darf nicht unterschätzt werden. Wenn ein Bekannter einen Unfall hat, besuch ihn und leiste ihm einfach Gesellschaft. Das allein hilft schon, dass sich der Betroffenen integriert fühlt.

Ein Tagebuch indem die Fortschritte notiert werden kann sehr hilfreich sein. So kann das notieren des Schmerzes oder die Fortschritte vergegenwärtigen, dass es doch aufwärts geht, obwohl ich selbst das Gefühl habe auf der Stelle zu treten. 

Dankbarkeit ist unglaublich wichtig. In das Tagebuch könnte zusätzlich integriert werden für was ich heute dankbar bin, 3-5 Dinge können ausreichen. Studien belegen, dass allein dies einen erhebliche Auswirkung auf mein Wohlbefinden hat und hilft den Fokus auf da zu lenken was augenblicklich gut ist. 

 

Das Ego nicht so wichtig nehmen

Kevin hat beschrieben, dass er früher vieles getan hat um sein Ego zu befriedigen, heute überlegt er eher was ist im wichtiger.  

Viele Piloten gehen unnötige Risiken ein, um ein paar Punkte zu ergattern, um ein paar Kilometer weiter zu kommen oder um in den Augen anderer cool zu sein. Sie tun Dinge, nicht weil sie diese tun wollen, sondern um ihren gefühlten Selbstwert zu steigern. Die Frage ist, was kostet dich diese Bemühungen? Umso mehr wir das Ego füttern, desto größer wird dessen Bedürfnis nach Anerkennung und wir können es kaum befriedigen. 

Die Frage: Was ist mir wirklich wichtig? - Kann ein erster Schritt aus der Egofalle sein. Erlaube dir dann der Mensch / Pilot zu sein, der du bist, auch dann, wenn dein Verstand gerade mehr negative als positive Selbstbewertungen hervorbringt. 

Stell dir vor, was möglich ist, wenn du aufhörst dein Ego zu füttern, sondern einfach nur das tust, was für dich wichtig ist und handle danach!


 Kontakt zu Kevin Philipp: https://www.instagram.com/kevin.philipp/

 

 


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